Haftung des Schiffsführers bei nicht ordnungsgemäßer Beladung des Schiffs

OLG Stuttgart, Urteil vom 01.07.2009 – 3 U 248/08

1. Keine Anwendbarkeit des CMNI auf Schadensfall vom 25. März 2007

2. Qualifiziertes Verschulden i.S.v. § 435 HGB eines Schiffsführers wegen Unterlassens einer Stabilitätsberechnung und Mißachtung weiterer Warnhinweise

3. Geschützter Personenkreis für Haftungsbegrenzungen nach §§ 4 ff. BinSchG

(Leitsätze des Gerichts)

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten und ihrer Streithelferinnen wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 19.11.2008, Az. 39 O 6/2008 KfH, wie folgt

a b g e ä n d e r t:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 86.855,77 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus EUR 84.802,70 seit

dem 26.09.2007 und aus weiteren EUR 2.053,07 seit dem 21.01.2008 zu bezahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung der Beklagten und ihrer Streithelferinnen wird zurückgewiesen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Streithelferin der Klägerin.

Die Streithelferinnen der Beklagten tragen ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen selbst.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die

Klägerin vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert der Berufungsinstanz: EUR 86.855,77

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte im Regressweg wegen eines Transportschadens in Anspruch.

Die Klägerin ist Transportversicherungs-Assekuradeur für die an einer Transportversicherungspolice der Streithelferin der Klägerin beteiligten

Versicherungen. Die Streithelferin der Klägerin beauftragte die Beklagte mit der Beförderung von vier Containern mit Artikeln für die Fensterherstellung von

ihrem Betriebssitz in … nach Peking / China. Die Beklagte beauftragte die Streithelferin Ziffer 1 der Beklagten, die Container vom Stuttgarter Hafen nach

Rotterdam zu befördern. Die Streithelferin Ziffer 1 der Beklagten wiederum hat gemäß Chartervertrag vom 23.06.2006 (Anlage K 30) von der Streithelferin

Ziffer 2 der Beklagten das Binnenschiff MS … für regelmäßige Containertransporte gechartert. Die Container wurden an Bord der von der Streithelferin Ziffer 2

der Beklagten betriebenen MS … verladen. Am 25.03.2007 geriet die MS … bei … während der Fahrt in Not, mit der Folge, dass neben anderen Containern auch drei

der vier genannten Container der Streithelferin der Klägerin aus der oberen Staulage in den Rhein fielen und nur beschädigt geborgen werden konnten.

Die Klägerin hat die Beklagte aus abgetretenem Recht auf Zahlung von EUR 86.855,07 in Anspruch genommen. In dieser Höhe sei ein Schaden der

Streithelferin der Klägerin entstanden. Die Beklagte sei für diesen Schaden auf Grund eines qualifizierten Verschuldens u.a. deshalb verantwortlich, weil das

Schiff MS … nicht ordnungsgemäß beladen gewesen sei und in diesem Zustand die Fahrt nicht hätte antreten dürfen. Zu Gunsten der Beklagten griffen auch keine

haftungsbeschränkenden Normen ein.

Die Beklagtenseite ist dem klägerischen Verlangen entgegengetreten. Sie hat sowohl die Aktivlegitimation der Klägerin als auch die Voraussetzungen eines

qualifizierten Verschuldens bestritten. Die Streithelferin der Klägerin habe durch falsche Gewichtsangaben in den Frachtpapieren bzw. durch gänzlich fehlende

Gewichtsangaben an den Containern zu dem Schaden beigetragen. Zudem griffen die Haftungsbeschränkungen des Budapester Übereinkommens über den Vertrag über

die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt (CMNI), des Binnenschifffahrtsgesetzes (BinSchG) sowie der ADSp. Im Übrigen sei die Schadenshöhe von der

Klägerin nicht schlüssig vorgetragen worden.

Erstinstanzlich wurde ein mündliches Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. … eingeholt, der zuvor bereits im Auftrag der

Staatsanwaltschaft Duisburg ein schriftliches Sachverständigengutachten erstellt hatte. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die

Sitzungsniederschrift vom 29.09.2008, Blatt 146 ff. d.A., Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben und die Beklagte mithin verurteilt, an die Klägerin EUR 86.855,77 nebst Zinsen hieraus in

Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.09.2007 zu bezahlen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Aktivlegitimation sich aus einer nachgewiesenen Abtretung der Forderung durch die Streithelferin der Klägerin

ergebe.

Die Beklagte hafte als Fixkostenspediteurin dem Grund nach für qualifiziertes Verschulden gemäß §§ 452, 425, 428, 435 HGB, da die Schiffsführung der MS …

den Schaden leichtfertig herbeigeführt habe. Es könne offen bleiben, ob die ADSp, das CMNI oder das BinSchG mit ihren jeweiligen haftungsbegrenzenden Normen

Anwendung fänden, da die dortigen Haftungsbegrenzungen unter den gleichen Voraussetzungen wie in § 435 HGB entfielen.

Die Leichtfertigkeit im Sinne des § 435 HGB ergebe sich aus folgenden Aspekten: Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen habe das Schiff

eine negative Stabilität aufgewiesen und habe daher nicht losfahren dürfen und zwar unabhängig davon, welche Werte man einer Stabilitätsberechnung bzw. –

kontrolle zugrunde lege, die nach Auffassung der Beklagtenseite angeblich falsch mitgeteilten oder die tatsächlichen Gewichte oder die nach der Ladeliste. Zu

dem Umstand, dass eine fehlerhafte bzw. gar keine Stabilitätsberechnung vorgenommen worden sei, komme hinzu, dass die Schiffsführung die negative Stabilität

auch anhand des Tiefganges und anhand der Krängung bzw. Schlagseite des Schiffes hätte erkennen können und müssen. Dass die Schiffsführung diese Problematik

grundsätzlich erkannt habe, zeige auch der Umstand, dass sie vor Fahrtantritt – laut Sachverständigengutachten untaugliche – Schlängelversuche durchgeführt

habe, um eine Stabilität festzustellen. Entscheidend sei außerdem, dass der Schiffsführer während der Fahrt drei- bis viermal von entgegenkommenden Schiffen

angefunkt und auf die Schräglage aufmerksam gemacht worden sei und die Fahrt dennoch fortgeführt wurde. Nachgewiesene Gespräche zwischen dem Steuermann und

dem Schiffsführer belegten auch, dass die Gefahren auch erkannt worden seien. So habe der Schiffsführer nach einem Hinweis des Steuermanns auf die Schräglage

erwidert, dieser „solle sich nicht ins Hemd scheißen“.

Ob der Streithelferin der Klägerin ein Verstoß gegen das Gewichtsbezeichnungsgesetz (GewBezG) zur Last gelegt werden könne, könne offen bleiben, da

eventuelle unzutreffende Gewichtsangaben nach den Ausführungen des Sachverständigen für einen Schaden nicht kausal geworden seien.

Der von der Klägerin geltend gemachte Schaden sei auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die Klägerin habe mit Kostenaufstellungen und beigefügten

Rechnungen den Schaden schlüssig dargelegt. Das pauschale Bestreiten der Beklagtenseite vermöge den Anspruch der Klägerin nicht zu Fall zu bringen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten und ihrer beiden Streithelferinnen. Die Berufungsführer bestreiten nach wie vor die

Aktivlegitimation, da nicht nachgewiesen sei, dass die Streithelferin der Klägerin zum Zeitpunkt der Abtretung der Forderung an die Klägerin am 10.07.2007

noch Inhaberin einer Schadensersatzforderung gewesen sei.

Eine Haftung der Beklagtenseite bestehe nicht, da sich zum einen das Risiko der Decksverladung und zum anderen das Risiko einer fehlerhaften bzw.

fehlenden Kennzeichnung der zu transportierenden Güter realisiert hätten. Die Kausalität dieser beiden Haftungsausschlüsse werde nach den gesetzlichen

Bestimmungen vermutet, so dass die Klägerin beweisen müsse, dass andere Ursachen zur Havarie geführt hätten. Diesen Beweis könne die Klägerin nicht

erbringen. Die Ansicht des Landgerichts, dass die fehlenden bzw. fehlerhaften Gewichtsangaben nicht schadenskausal gewesen seien, beruhe auf einer

fehlerhaften Beweiswürdigung. Korrekte Gewichtsangaben hinsichtlich der zu transportierenden Güter seien eine entscheidende Voraussetzung für die

Durchführung einer ordnungsgemäßen Stabilitätskontrolle durch die Schiffsführung.

Auch ein Entfallen dieser Haftungsausschlussgründe durch eine leichtfertige Verursachung des Schadens liege nicht vor. Hier sei zunächst zu beachten,

dass nicht das HGB, sondern das CMNI anwendbar sei, da das deutsche Vertragsgesetz zum CMNI vor dem Schadensfall, nämlich bereits am 23.03.2007, in Kraft

getreten sei. Das Landgericht habe zu Unrecht offen gelassen habe, ob das CMNI und/oder das BinSchG anwendbar seien, da nach Art. 21 CMNI und § 5b BinSchG

eine Haftungsbefreiung bzw. –begrenzung nur dann entfielen, wenn der Frachtführer bzw. der Schiffseigner „selbst “ den Schaden leichtfertig und in dem

Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, herbeigeführt habe. Der bei der Streithelferin Ziffer 2 der Beklagten angestellte

Schiffsführer … sei aber weder Frachtführer noch Schiffseigner gewesen.

Daneben liege aber ohnehin kein leichtfertiges Handeln der Schiffsführung bzw. kein Handeln im Bewusstsein eines wahrscheinlichen Schadenseintrittes vor.

Dieses ergebe sich bereits daraus, dass das Schiff in … und … von zwei Wasserschutzpolizeistationen auch im Hinblick auf eine erhöhte Krängung bzw. mangelnde

Stabilität überprüft worden sei und hierbei keine Beanstandungen erfolgt seien. Eine Schräglage des Schiffes sage nichts über die Stabilität eines Schiffes

aus. Bei fehlenden bzw. zweifelhaften Gewichtsangaben habe ein verantwortlicher Schiffsführer vor Fahrtantritt einen Naturversuch bzw. Schlängelversuch zu

unternehmen. Dieses sei vorliegend mit einem positiven Ergebnis erfolgt. Anhand des Tiefganges des Schiffes sei eine negative Stabilität des Schiffes nicht

zu erkennen gewesen.

Hilfsweise hat die Beklagtenseite die Einrede der Haftungsbeschränkung nach dem BinSchG erhoben.

Die Beklagten und ihre Streithelferinnen stellen folgende Anträge:

1. Das am 19.11.2008 verkündete Urteil des Landgerichts Stuttgart, 39 O 6/08 KfH, wird abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

2. Hilfsweise: Das vorbezeichnete Urteil wird dahingehend abgeändert, dass der Beklagten vorbehalten bleibt, das Recht auf Beschränkung der Haftung gem.

§§ 4 bis 5 m des Binnenschifffahrtsgesetzes geltend zu machen, wenn ein Fonds gem. § 5 d des Binnenschifffahrtsgesetzes errichtet worden ist oder bei

Geltendmachung des Rechtes auf Beschränkung der Haftung errichtet wird.

Die Klägerin und ihre Streithelferin beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin und ihre Streithelferin verteidigen das landgerichtliche Urteil.

Die Aktivlegitimation der Klägerin ergebe sich daraus, dass die Schadensersatzansprüche der Streithelferin der Klägerin am 10.07.2007 wirksam abgetreten

worden seien. Vor dem 10.07.2007 seien seitens der Versicherer keine Zahlungen an die Streithelferin der Klägerin erfolgt, sodass die Streithelferin der

Klägerin noch Forderungsinhaberin gewesen sei.

Das CMNI sei vorliegend nicht anwendbar, da es für Deutschland erst am 01.11.2007 in Kraft getreten sei. Das vorherige Inkrafttreten des deutschen

Vertragsgesetzes zum CMNI ändere hieran nichts.

Auf Haftungsausschlüsse bzw. –beschränkungen könne sich die Beklagtenseite nicht berufen, da ein leichtfertiges Handeln im Sinne des § 435 HGB vorliege.

Die fehlende Stabilitätsberechnung und das „In-den-Wind-Schlagen“ sämtlicher Warnhinweise ergebe diese Leichtfertigkeit und das Bewusstsein der

Schiffsführung für einen wahrscheinlichen Schadenseintritt.

Haftungsausschlussgründe lägen außerdem nicht vor.

Das Risiko der Decksverladung habe sich nicht verwirklicht, da der primäre Grund der Havarie die mangelhafte Führung des Schiffes gewesen sei. Die

Einrede der Decksverladung sei außerdem präkludiert, da sie erstinstanzlich erstmals nach dem Ende der mündlichen Verhandlung erhoben worden sei.

Die Streithelferin der Klägerin habe außerdem das Gewicht der Frachtstücke in den Speditionsaufträgen an die Beklagte korrekt angegeben. Für die Angaben

in der Ladeliste sei nicht die Streithelferin der Klägerin verantwortlich. Sofern bei einer Nachverwiegung der Container nach dem Schadensfall

Gewichtsabweichungen festgestellt worden seien, was bestritten wird, sei dies auf Umstände zurückzuführen, die nach der Übergabe der Frachtstücke an die

Beklagtenseite eingetreten seien, z.B. durch die erheblichen Einwirkungen während der Havarie. Es liege auch kein Verstoß gegen das GewBezG vor, da dieses

Gesetz vorliegend keine Anwendung finde. Etwaige Gewichtsverstöße seien außerdem für die Havarie auch nicht kausal gewesen. Die Beklagtenseite habe nicht

bewiesen, dass etwaige Gewichts- bzw. Kennzeichnungsverstöße tatsächlich ursächlich für die Havarie gewesen seien. Eine etwaige Kausalitätsvermutung sei

entkräftet, da nach den Ausführungen des Sachverständigen die negative Stabilität des Schiffes die Ursache der Havarie gewesen sei und das tatsächliche

Gewicht der vier Container der Streithelferin der Klägerin auf das Ergebnis der negativen Stabilität keinen Einfluss gehabt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten und ihrer Streithelferinnen hat in der Sache bis auf eine geringe Änderung hinsichtlich des Zinsanspruches der

Klägerin keinen Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte gemäß §§ 398 BGB, 452, 452a, 425, 428, 435 HGB, 249 ff BGB einen Anspruch auf Zahlung von EUR 86.855,77.

1. Die Klägerin ist aktivlegitimiert, da sie durch die Abtretung der Schadensersatzforderungen der Streithelferin der Klägerin an sie vom 10.07.2007 –

belegt durch die Abtretungserklärung vom 10.07.2007, Anlage K 0 – Forderungsinhaberin geworden ist.

Hinweise dafür, dass die Streithelferin am 10.07.2007 nicht mehr Inhaberin der Schadensersatzansprüche gewesen sein könnte, sind in keiner Weise

ersichtlich, da keine Anhaltspunkte für eine Zahlung von Seiten der beteiligten Versicherungen an die Streithelferin der Klägerin in der Zeit vor dem

10.07.2007 ersichtlich sind. Nachdem die ursprüngliche Rechtsinhaberschaft der Streithelferin der Klägerin zwischen den Parteien unstreitig ist, hätte die

Beklagte Umstände vortragen und ggf. beweisen müssen, aus denen sich ein Forderungsübergang auf einen Dritten vor dem 10.07.2007 ergeben würde (vgl. Knerr in

jurisPK zum BGB, 4. Auflage, 2008, § 398, Rn. 56, wonach ein Schuldner, der sich darauf beruft, dass der ursprüngliche Gläubiger nicht mehr aktivlegitimiert

sei, da er die Forderung wirksam abgetreten habe, für diese angebliche Abtretung die Darlegungs- und Beweislast trägt; vgl. außerdem BGH NJW 1983, 2018,

wonach ein Gegner, der die Wirksamkeit einer Abtretung bestreitet, die Tatsachen darlegen und beweisen muss, aus denen sich die rechtshindernde Einwendung

ergibt).

2. Die Haftung der Beklagten richtet sich nach den §§ 407 ff HGB und hier insbesondere nach den §§ 425 ff HGB.

Zwischen der Streithelferin der Klägerin und der Beklagten ist unstreitig ein Fixkostenspeditionsvertrag abgeschlossen worden. Dieser Vertrag hat durch

das im Ausland liegende Ziel der Beförderung (Peking) einen Auslandsbezug. Gemäß Art. 28 Abs.1 und 4 EGBGB unterliegt der Vertrag und somit das hier zu

beurteilende Rechtsverhältnis jedoch deutschem Recht, da die Beklagte ihre Hauptniederlassung in Deutschland hat und auch der Verladeort in Deutschland

liegt. § 459 HGB ist daher anwendbar.

Auch bei einer Spedition zu festen Kosten im Sinne des § 459 HGB ist § 452 HGB, sofern die dortigen Voraussetzungen vorliegen, anwendbar (vgl. Koller,

Transportrecht, 6. Auflage, 2007, § 459, Rn.23 und § 452, Rn.6). Ein Vertrag über einen sog. multimodalen Transport im Sinne des § 452 HGB liegt vor, da zum

einen der Transport mit verschiedenen Transportmitteln durchgeführt werden sollte. Verschiedene Transportmittel liegen bereits dann vor, wenn ein Teil des

Transportes per Schiff auf Binnengewässern und ein weiterer Abschnitt des Transportes per Schiff zur See erfolgt bzw. erfolgen soll (vgl. Koller, aaO., §

452, Rn. 14). Inwieweit darüber hinaus der Transport noch durch weitere Transportmittel erfolgen sollte, kann daher dahingestellt bleiben. Zum anderen wären

dann, wenn über jede Teilstrecke ein gesonderter Vertrag abgeschlossen worden wäre, auch mindestens zwei dieser Verträge verschiedenen Rechtsvorschriften

unterworfen gewesen. Dieses ergibt sich bereits daraus, dass nur auf den Binnenschiffstransport neben den Vorschriften des HGB auch das BinSchG anzuwenden

ist (vgl. Koller, aaO., § 452, Rn. 18).

Nachdem beim vorliegenden multimodalen Vertrag feststeht, dass die Beschädigung der Güter auf einer bestimmten Teilstrecke, nämlich während der

Binnenschiffsbeförderung, entstanden ist, bestimmt sich die Haftung des Frachtführers bzw. über § 459 HGB der Beklagten gemäß § 452 a HGB nach den

Rechtsvorschriften, die auf einen Vertrag über eine Binnenschifffahrtsbeförderung nach Rotterdam anzuwenden wäre. Bei diesen Vorschriften handelt es sich

entgegen der Ansicht der Berufungsführer nicht um diejenigen des CMNI, sondern um die §§ 407 ff HGB.

Das CMNI ist auf den vorliegenden Schadensfall nicht anwendbar, da es zum Zeitpunkt des Schadens am 25.03.2007 kein geltendes deutsches Recht war. Zwar

ist das vom 17.03.2007 stammende deutsche Vertragsgesetz zum CMNI – das „Gesetz zu dem Budapester Übereinkommen vom 22.06.2001 über den Vertrag über die

Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt (CMNI)“ (BGBl. II 2007, 298, Anlage G&G 1, Blatt 281 d.A.) – gemäß Art. 3 Abs.1 dieses Gesetzes bereits vor dem

Schadensfall, nämlich am 23.03.2007, in Kraft getreten. Entscheidend für die vorliegende Unanwendbarkeit des Übereinkommens ist jedoch, dass das CMNI selbst

nach der am 10.07.2007 erfolgten Hinterlegung der Ratifikationsurkunde beim ungarischen Außenministerium gemäß Art. 34 Abs.2 CMNI für die Bundesrepublik

Deutschland erst am 01.11.2007 in Kraft getreten ist. (vgl. Bekanntmachung über das Inkrafttreten des CMNI vom 03.08.2007 in BGBl. II, 1390, Anlage G&G 2,

Blatt 282 d.A.).

Der Zeitpunkt, ab dem der Inhalt eines völkerrechtlichen Vertrages als innerstaatliches deutsches Recht gilt, liegt immer nach der deutschen Ratifikation

und jedenfalls nicht vor Eintritt der völkerrechtlichen Wirksamkeit des Vertrages für die Bundesrepublik Deutschland (BVerfGE 1, 396, 411). Hierbei ist es im

Ergebnis ohne Belang, welcher Theorie hinsichtlich des innerstaatlichen „In-Geltung-Setzens“ völkerrechtlicher Verträge gefolgt wird: Nach der sog.

Vollzugstheorie beinhaltet das Vertragsgesetz – neben der nach beiden Theorien ausgesprochenen Ermächtigung des Bundespräsidenten zur Ratifikation – einen

„Vollzugsbefehl“, der dem Vertragsrecht, welches seinen Völkerrechtscharakter behält, im innerstaatlichen Bereich zur Geltung verhilft. Nach dieser Theorie

kann nur bereits existierendes bzw. in Kraft getretenes Völkerrecht vollzogen werden und somit innerstaatliche Geltung haben, sodass unzweifelhaft die

innerstaatliche Geltung erst mit dem völkerrechtlichen Inkrafttreten erlangt sein kann. Nach der sog. Transformationstheorie hingegen wird der Vertrag durch

das Vertragsgesetz als „Transformator“ von seinem völkerrechtlichen Geltungsgrund gelöst und in eine neue innerstaatliche Rechtsquelle umgewandelt. Hier wäre

grundsätzlich eine innerstaatliche Geltung ab dem Inkrafttreten des Vertragsgesetzes denkbar oder sogar folgerichtig. Dennoch besteht in der Rechtsprechung

und weitgehend auch in der Lehre selbst bei der Anwendung dieser Transformationstheorie Einigkeit, dass die innerstaatliche Geltung des Vertragsinhaltes erst

mit dem völkerrechtlichen Inkrafttreten des Vertrages für die Bundesrepublik Deutschland beginnt. Daher wird von einer sog. „modifizierten

Transformationstheorie“ gesprochen (vgl. zu dem Theorienstreit und dem Ergebnis: von Münch/Kunig – Rojahn, Grundgesetz-Kommentar, 5. Auflage, 2001, Art. 59,

Rn. 33 ff, insb. Rn. 36; Butzer/Haas in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/ Hopfauf, Grundgesetz, 11. Auflage, 2008, Art. 59, Rn. 112 ff, insb. Rn. 115).

Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht macht auch Art.2 Abs.1 CMNI die deutsche Ratifikation des CMNI als

Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Abkommens auf den vorliegenden Fall nicht entbehrlich. Art. 2 Abs.1 CMNI besagt, dass das CMNI bereits dann anwendbar

ist, wenn entweder der Staat des Ladehafens bzw. des Übernahmeortes oder der Staat des Löschhafens bzw. des Ablieferungsortes Vertragspartei des CMNI ist.

Durch diese Vorschrift wird bestimmt, auf welche Transporte das CMNI anzuwenden ist. Sie regelt, dass das CMNI im Falle seiner grundsätzlichen Anwendbarkeit

auch dann anzuwenden ist, wenn nicht sowohl der Abgangs- als auch der Bestimmungsstaat, sondern nur einer dieser beiden Staaten Vertragspartei ist.

Voraussetzung für die Anwendbarkeit des gesamten CMNI und somit auch des Art. 2 CMNI ist jedoch, dass das CMNI Bestandteil der Rechtsordnung ist, welche auf

den betreffenden Streitfall anzuwenden ist. Bestandteil des hier maßgeblichen deutschen Rechts konnte das CMNI jedoch nur durch die Ratifikation werden.

Mangels Anwendbarkeit des CMNI wären auf einen reinen Binnenschiffstransportvertrag somit gemäß § 407 Abs.3 HGB die § 407 ff HGB anwendbar, sodass die

Haftung der Beklagten sich gemäß § 452a HBG nach diesen Vorschriften richtet.

Das BinSchG steht der Anwendung der §§ 407 ff HGB nicht im Wege, da auch § 26 BinSchG für Frachtgeschäfte zur Beförderung von Gütern auf Binnengewässern

auf die §§ 407 ff HGB verweist und es im Übrigen nur Regelungen enthält, die neben die frachtrechtlichen Haftungsbestimmungen treten bzw. diese ergänzen.

3. Die Voraussetzungen für eine dem Grunde nach bestehende Obhutshaftung der Beklagten nach § 425 HGB sind gegeben, nachdem die Container nach der

Übergabe an die Beklagte bzw. an ihre Streithelfer und vor der Ablieferung am Bestimmungsort beschädigt worden sind.

a. Der Schaden ist auch auf ein Handeln bzw. Unterlassen zurückzuführen, das die Schiffsführung der MS …, für welche die Beklagte gemäß § 428 HGB haftet,

im Sinne des § 435 HGB leichtfertig und in dem Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde, begangen hat.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen … ist die Havarie auf ein Zusammenspiel der folgenden Punkte zurückzuführen (Seite 10 des schriftlichen

Gutachtens für die Staatsanwaltschaft Duisburg, Seite 1004 der Ermittlungsakte, Anlage K 15 d.A.) :

– die Stabilität des Schiffes war ab dem Zeitpunkt des Ablegens in … negativ und das Schiff hatte, aufgrund der Beladung, Schlagseite nach Steuerbord

– Ballastwasser, welches kurz vor oder während der Havarie in den Raum 8 Backbord gepumpt wurde, führte zu einer weiteren Stabilitätsminderung

– Wasser in der Vorpiek führte zu einer – wenn auch geringen – weiteren Stabilitätsminderung

– durch die negative Stabilität und die vorhandene Vorkrängung nach Steuerbord und einen zusätzlichen Winddruck auf die Backbord-Seite des Schiffes kam

es zu einem Drehmanöver über die Steuerbord-Seite. Die dadurch entstehende Sogwirkung führte zu einer weiteren Krängung des Schiffes, zu Wasser an Deck und

so zu einer noch stärkeren Stabilitätsminderung, die zur Havarie führte.

Ob einzelne Punkte für die Havarie ausschlaggebend bzw. schon allein ausreichend waren und andere Punkte „hinweggedacht“ werden können oder ob nur durch

ein Zusammenspiel aller Punkte die Havarie verursacht wurde, steht nach den Ausführungen des Sachverständigen … nicht fest. Ebenfalls nicht abschließend

geklärt ist die Frage, inwieweit die erhebliche Gewichtsdifferenzen zwischen den Ladepapieren und den nach der Havarie erstellten Wiegelisten mit den

tatsächlichen Gewichten aller an Bord befindlichen Container zu einer weiteren bzw. sogar ausschlaggebenden Instabilität des Schiffes geführt haben. Der

Privatgutachter … hält diese Gewichtsdifferenzen für ausschlaggebend (Punkt 66 der deutschen Übersetzung des Gutachtens, Anlage SH 2,1), während der

Sachverständige … ausgeführt hat, er könne nicht beurteilen, ob diese Gewichtsdifferenz zur Havarie geführt hat (vgl. Anlage K 27).

Fest steht jedoch nach den Ausführungen des Sachverständigen …, dass die Havarie dann vermieden worden wäre, wenn die Schiffsführung vor Beginn der Fahrt

die vorgeschriebene Stabilitätsberechnung durchgeführt hätte. In diesem Falle hätte die Schiffsführung auf jeden Fall, also sowohl bei Zugrundelegung der

Gewichte aus den Frachtpapieren als auch bei Zugrundlegung der tatsächlichen Gewichte, eine negative Stabilität errechnet und hätte daher die Fahrt mit

dieser Ladung nicht antreten dürfen.

Aus diesem letzten Umstand und dem weiteren Aspekt, dass die Fahrt zu späteren Zeitpunkten trotz des Vorliegens weiterer Warnhinweise fortgeführt wurde,

ergibt sich eine schadensursächliche Leichtfertigkeit der Schiffsführung der MS … und das Bewusstsein der Schiffsführung von der Wahrscheinlichkeit eines

Schadenseintrittes.

Eine Leichtfertigkeit im Sinne des § 435 HGB liegt bei besonders schweren Pflichtverstößen vor, bei denen sich der Frachtführer oder die Personen, für

die er nach § 428 HGB haftet, in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen der Vertragspartner hinwegsetzen (BGH TranspR 2007, 423; BGH TranspR 2004,

399). Erforderlich ist das Unterlassen elementarer Schutzvorkehrungen. Dieses ist zu bejahen, wenn grundlegende, auf der Hand liegende Sorgfaltspflichten

verletzt werden, wenn naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden oder wenn der Handelnde bzw. Verantwortliche sich über Bedenken in Anbetracht von

Gefahren hinwegsetzt, die sich jedem aufdrängen müssen (Koller, aaO., § 435, Rn.6).

Das subjektive Erfordernis des Bewusstseins von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist eine sich dem Handelnden aus seinem leichtfertigen

Verhalten aufdrängende Erkenntnis, es werde wahrscheinlich ein Schaden entstehen. Dabei reicht die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Leichtfertigkeit für

sich allein allerdings nicht aus, um auf das Bewusstsein von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts schließen zu können. Eine solche Erkenntnis als

innere Tatsache ist vielmehr erst dann anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen es aufgetreten

ist, diese Folgerung rechtfertigt (BGH TranspR 2007, 423; BGH TranspR 2004, 399). Hierbei muss die aus der Sicht des Handelnden gegebene Wahrscheinlichkeit

nicht 50% überschreiten (BGH, TranspR 2004, 309). Ausreichend ist vielmehr, dass das Risiko des Schadenseintrittes naheliegend ist (OLG Oldenburg, TranspR

2001, 367) bzw. dass eine geringe, andererseits aber auch nicht völlig belanglose, sondern statistisch relevante Wahrscheinlichkeit für den Schadenseintritt

gegeben ist (OLG München TranspR 2002, 161, zum Meinungsstand insgesamt Koller, aaO., § 435, Rn. 16 und dort Fußnote 112).

Diese jeweiligen Voraussetzungen sind vorliegend hinsichtlich des Schiffsführers … erfüllt.

Das Unterlassen einer Stabilitätsberechnung vor Fahrtantritt in … und das Losfahren trotz fehlender Stabilitätsberechnung stellt bereits einen

erheblichen Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften dar. Bei der vorliegenden Beladung des Schiffes mit vier Lagen Containern war eine Stabilitätskontrolle

nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen (Anlage K 28) zwingend vorgeschrieben, wobei nach den Vorschriften nicht nur ein Fahrversuch

durchzuführen war, sondern eine Stabilitätsberechnung erforderlich war. Eine Stabilitätsberechnung dient dazu, sicherzustellen, dass nur bei einer positiven

Stabilität die Fahrt aufgenommen wird. Bei einer negativen Stabilität sind Unfälle zu befürchten. Die Schiffsführung hat daher schon allein durch das

Unterlassen der Stabilitätsberechnung vor Fahrtantritt die Möglichkeit einer negativen Stabilität und somit das Risiko einer erhöhten Unfallgefahr billigend

in Kauf genommen (vgl. Angaben des Sachverständigen in Anlage K 27). Hätte die Schiffsführung hingegen eine ordnungsgemäße Stabilitätsberechnung erstellt,

wäre in jedem Falle eine negative Stabilität errechnet worden, sodass der Fahrtantritt nicht hätte erfolgen dürfen. Die Schiffsführung hätte hierbei von den

Angaben in den Ladepapieren ausgehen müssen, da ihr die tatsächlichen Gewichte der Container, die teilweise von den angegebenen Gewichten erheblich abwichen,

nicht bekannt waren. Auf Grund der errechneten negativen Stabilität hätte dann entweder eine andere Art der Beladung gewählt werden müssen oder es hätten

einige Container wieder abgeladen werden müssen. Es wäre klar gewesen, dass die gewählte Verladung mit der Vielzahl der Container in der oberen Lage zu

gefährlich war. Selbst wenn der Schiffsführer Zweifel an den angegeben Gewichten gehabt haben sollte, durfte er trotzdem nicht auf eine Berechnung mit den

ihm vorliegenden Zahlen verzichten. Die Berechnung mit den in den Ladepapieren vorliegenden Zahlen hätte nach den Ausführungen des Sachverständigen … eine

ganz erhebliche negative Stabilität von -0,831 m ergeben (vgl. Seite 5 der Anlage K 15, bzw. Blatt 999 der Ermittlungsakte, Blatt 100 d.A.), sodass die

Schiffsführung damit rechnen musste, dass selbst bei abweichenden tatsächlichen Gewichten eine negative Stabilität überaus wahrscheinlich war.

Ob allein auf Grund dieses isolierten Umstandes bereits eine Leichtfertigkeit bejaht werden kann, kann dahingestellt bleiben. Entscheidend ist, dass die

Fahrt trotz weiterer Warnhinweise, die auf eine erhebliche Instabilität des Schiffes hinwiesen, jeweils fortgesetzt wurde.

Bereits nach der Beladung in … hatte das Schiff eine starke Schräglage nach Steuerbord. Auch bei dem Fahrversuch zu Beginn der Fahrt hat sich das Schiff

bei hart Backbord und bei hart Steuerbord ziemlich stark geneigt, sodass der Schiffsführer … vom Steuermann auf diese Auffälligkeiten hingewiesen wurde (vgl.

Angaben des Zeugen … auf Blatt 278 der Ermittlungsakten, Blatt 100 d.A.). Zwar ist eine Schräglage für sich genommen noch kein sichereres Kennzeichen für

eine Instabilität eines Schiffes. Nachdem jedoch normalerweise auf dem Rhein keine gekrängten Schiffe fahren (vgl. Angaben des Sachverständigen auf Blatt 149

d.A.), hätte diese Schräglage zusammen mit dem fehlenden Stabilitätsnachweis den Schiffsführer auf jeden Fall dazu bewegen müssen, die Stabilitätsberechnung

nachzuholen und dann entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Außerdem stellte die Krängung in Verbindung mit dem gemessenen Tiefgang des Schiffes, der dem

Schiffsführer bekannt war, ein Gefahrenpotential dar, da durch diese beiden zusammenkommenden Umstände die Gefahr eine Überflutung des Decks mit der Folge

einer weiteren Stabilitätsminderung bestand. Bei größeren Wellen von entgegenkommenden Schiffen kam es auch bereits zu Überflutungen des Decks, sodass der

Steuermann aus Sicherheitsgründen einen Rettungskragen angezogen hatte. Auch hier musste sich die Gefahr dem Schiffsführer geradezu aufdrängen. Statt

angemessen zu reagieren hat der Schiffsführer … jedoch die Warnungen bzw. Anfragen des Steuermannes mit der Bemerkung, dieser „solle sich nicht ins Hemd

scheißen“, bei Seite geschoben (vgl. Angaben des Zeugen …, aaO.). Spätestens nach den Hinweisen entgegenkommender Schiffsführer auf die aus ihrer jeweiligen

Sicht bedrohliche Schräglage des MS … hätte der Schiffsführer … dann dringenden Anlass gehabt, die Stabilität zu überprüfen und die Fahrt daraufhin

abzubrechen. Denn in der Gesamtschau mit den schon vorher vorliegenden Warnhinweise hätten die Warnungen mehrerer anderer Schiffsführer, die ebenfalls in der

Lage sind, Gefahren zu erkennen, ernst genommen werden müssen. Aber auch hier hat der Schiffsführer nicht reagiert bzw. durch das Pumpen von Wasser in einen

Ballastwassertank eine Maßnahme ergriffen, die zum einen zu einer noch weiteren Stabilitätsminderung führte und zum anderen während der Fahrt auch nicht

erlaubt war. (vgl. Angaben des Sachverständigen auf Blatt 1005 der Ermittlungsakte, Anlage K 15 d.A.).

In der Gesamtschau aller genannten Umstände hat der Schiffsführer … somit gegen elementare Schutzvorschriften bzw. auf der Hand liegende

Sorgfaltspflichten verstoßen und sich über Bedenken hinweggesetzt, die sich jedem Schiffsführer in dieser Lage aufdrängen mussten. Die besonderen Umstände

und die Vielzahl der genannten Warnhinweise rechtfertigen auch die Folgerung, dass der Schiffsführer … das naheliegende Risiko eines Schadenseintrittes

erkannt hat. Denn nur so sind auch sein untauglicher Versuch der Stabilisierung des Schiffes durch das Pumpen des Wassers in den Ballastwassertank und die

kurz vor der Havarie erfolgte Äußerung, man „wäre wohl besser nicht losgefahren“ (Angaben des Zeugen … auf Blatt 450 der Ermittlungsakte, Blatt 100 d.A.) zu

erklären.

Der Umstand, dass durch zwei Wasserschutzpolizeistationen keine Beanstandungen erfolgt sind, führt nicht zu einem Entfallen des Vorwurfes der

Leichtfertigkeit bzw. des Bewusstseins von der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts. Ein Schiffsführer ist selbst für die Stabilität seines Schiffes

verantwortlich und ohne Weiteres in der Lage, Warnhinweise im Hinblick auf die Stabilität eigenständig wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren. Eine

fehlerhafte Einschätzung der Sicherheitslage des Schiffes durch Außenstehende kann und darf den Schiffsführer nicht entlasten, zumal er davon ausgehen kann,

dass die Wasserschutzpolizei nicht über alle erforderlichen Informationen, z.B. aus den Ladepapieren bzw. aus den Messergebnissen der Bordinstrumente,

verfügt.

Im Ergebnis sind somit die Voraussetzungen des § 435 HGB im Hinblick auf das Verhalten des Schiffsführers …, welches die Beklagte sich über § 428 HGB

zurechnen lassen muss, erfüllt.

b. Das Vorliegen eines qualifizierten Verschuldens im Sinne des § 435 HGB führt dazu, dass die Beklagte sich nicht auf Haftungsausschluss- oder

Haftungsbegrenzungstatbestände nach dem HGB berufen kann. Insbesondere kann sie sich weder auf den Einwand der Decksverladung nach § 427 Abs. 1 Nr. 1 HGB

noch auf den Einwand der ungenügenden Kennzeichnung der Frachtstücke nach § 427 Abs.1 Nr. 5 HGB berufen.

c. Die Beklagte kann sich auch nach anderen Vorschriften nicht auf Haftungsausschlüsse bzw. Haftungsbegrenzungen berufen.

Haftungsbegrenzungen nach dem BinSchG kommen der Beklagten nicht zugute, da sich auf die Haftungsbegrenzungen nach §§ 4 ff BinSchG nur ein Schiffseigner

(§ 4 BinSchG), ein Eigentümer, Charterer oder Ausrüster (§ 5c Abs. 1 Nr. 1 BinSchG), ein Berger (§ 5c Abs.1 Nr. 2 BinSchG) und eine Person, für deren

Handeln, Unterlassen oder Verschulden der Schiffseigner oder eine der in § 5c Abs.1 Nr. 1 oder Nr. 2 BinSchG genannten Personen haftet (§ 5c Abs.1 Nr.3

BinSchG), berufen kann.

Die Beklagte gehört nicht zu diesem geschützten Personenkreis. Sie ist unzweifelhaft keine Schiffseignerin, Eigentümerin oder Ausrüsterin im Sinne der

genannten Vorschriften. Sie ist außerdem auch keine Charterin und insbesondere auch keine sog. Slot-Charterin. Der Begriff des Charterers ist im Gesetz nicht

definiert. Der Gesetzgeber hat die Auslegung dieses Begriffes der Rechtsprechung überlassen. Ein Slot-Charterer ist derjenige, der einzelne Stellplätze auf

einem Containerschiff angemietet hat (von Waldstein/Holland, Binnenschifffahrtsrecht, 5. Auflage, 2007, § 5c, Rn.3). Nicht jeder Transport von einzelnen

Containern auf einem Binnenschiff führt jedoch zum Vorliegen einer sog. Slot-Charter. Wird einem Auftraggeber innerhalb einer bestimmten Zeit in wiederum

bestimmten einzelnen Zeiträumen eine bestimmte Zahl von Stellplätzen zur Verfügung gestellt und muss für diese Stellplätze unabhängig davon, ob der

Stellplatz benutzt wird, die für den Stellplatz vereinbarte Rate bezahlt werden, ist es gerechtfertigt, den Auftraggeber als haftungsprivilegierten Slot-

Charterer anzusehen. Nimmt demgegenüber ein Auftraggeber, der sich zu einem Gesamttransport mit mehreren Transportmitteln verpflichtet hat, lediglich die

Gelegenheit wahr, Stellplätze auf dem Schiff eines Reeders zu benutzen, ohne dass eine feste Bindung zwischen dem Reeder und dem Auftraggeber eingegangen

ist, liegt kein Chartervertrag vor. Der Auftraggeber schließt dann lediglich Stückgutverträge über eine Teilstrecke ab und hat dementsprechend auch nur den

tatsächlich in Anspruch genommenen Stellplatz zu bezahlen. Derartige Verträge sind als bloße Unterfrachtverträge anzusehen, die nicht zu einer

Haftungsprivilegierung des Auftraggebers führen (vgl. Rabe, Seehandelsrecht, 4. Auflage, 2000, Art. 1 LondonHBÜ 1976, Rn. 8).

Vorliegend hat zwar die Streithelferin Ziffer 1 der Beklagten die MS … von der Streithelferin Ziffer 2 der Beklagten gemäß Chartervertrag vom 23.06.2006

(Anlage K 30) für regelmäßige Containertransporte gechartert. Die Beklagte hingegen hat mit ihrer Streithelferin Ziffer 1 keinen Chartervertrag, auch nicht

in Form einer sog. Slot-Charter, sondern einen schlichten (Unter-)Frachtvertrag abgeschlossen. Im Vertragsverhältnis zwischen der Beklagten und ihrer

Streithelferin Ziffer 1 ging es ausschließlich um den einmaligen Transport von vier Containern. Der Auftrag hatte also keinen Bezug zu einem bestimmten

Schiff, sondern war ausschließlich auf die zu transportierenden Güter bzw. Container bezogen. Da ein (Slot-)Chartervertrag jedoch – wie oben dargelegt – eine

feste Bindung zu dem betroffenen Schiff bzw. zu dem Reeder des Schiffes voraussetzt, kann im vorliegenden Fall nicht von einem von der Beklagten

abgeschlossenen Chartervertrag ausgegangen werden. Die Beklagte ist somit keine Charterin. Die von ihr hilfsweise erhobene Einrede der Haftungsbeschränkung

nach dem BinSchG geht somit ins Leere.

Auch Haftungsbefreiungen bzw. -begrenzungen nach den ADSp scheiden aus, da solche gemäß Ziffer 27.2 ADSp unter den gleichen Voraussetzungen wie in § 435

HGB entfallen.

d. Auch eine die Haftung der Beklagten einschränkende Mitverursachung des Schadens durch die Streithelferin der Klägerin durch fehlende Gewichtsangaben

an den Containern bzw. möglicherweise falsche Gewichtsangaben in den Frachtpapieren liegt nicht vor.

Der Einwand der Mitverursachung kann grundsätzlich auch beim Vorliegen eines qualifizierten Verschuldens im Sinne des § 435 HGB erhoben werden. Ob

hierbei – entsprechend der Ansicht des BGH – § 425 Abs. HGB oder aber § 254 BGB anzuwenden ist (vgl. dazu Koller, aaO, § 435 HGB, Rn. 19a sowie Fußnoten 120

und 121), kann dahingestellt bleiben. Denn eine Mitverursachung durch den Geschädigten ist dann, wenn die Kausalität des nach § 435 HGB leichtfertigen

Verhaltens des Frachtführers bzw. seiner Leute für den Schaden feststeht, im Rahmen dieses Einwandes nur dann beachtlich, wenn es für den Schaden mit an

Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kausal geworden ist (Koller, aaO, § 435, Rn. 19f). Dieser der Beklagtenseite obliegende Beweis ist nicht erbracht

worden. Schon die Frage, ob die bei insgesamt 93 Containern vorhandenen Gewichtsdifferenzen für die Havarie und somit für den geltend gemachten Schaden

ursächlich geworden sind, ist – wie oben dargelegt – nach der Beweisaufnahme nicht eindeutig geklärt. Bei der Frage der Mitverursachung durch die

Streithelferin der Klägerin wäre hingegen nur auf Gewichtsdifferenzen der von ihr stammenden vier Container abzustellen bzw. auf die Gewichtsdifferenzen, die

bei drei dieser vier Container bestanden haben sollen. Der Sachverständige … hat eindeutig ausgeführt, dass die behauptete Gewichtsdifferenz dieser drei

Container von 4.326 kg auf die Frage der negativen Stabilität keine Auswirkung hatte (Tischvorlage des Sachverständigen vom 29.09.2008, Blatt 147 d.A.). Es

sind darüber hinaus auch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Schiffsführer … dann, wenn ausschließlich bei den Containern der Streithelferin

der Klägerin abweichende Gewichtsangaben in den Ladepapieren bzw. Gewichtsangaben an den Containern selbst vorhanden gewesen wären, sein Verhalten, welches

zum Schadenseintritt geführt hat, geändert hätte. Von einer relevanten Mitverursachung des Schadens durch die Streithelferin der Klägerin kann daher nicht

ausgegangen werden. Daher kann auch die Frage, ob die Streithelferin gegen das GewBezG verstoßen hat, offen bleiben.

4. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin besteht auf Grund der unbeschränkten Haftung der Beklagten auch in der vom Landgericht zuerkannten Höhe von

EUR 86.855,77.

Die Anspruchshöhe ist mit der Berufung nicht angegriffen worden. Die Ansicht des Landgerichts, dass die geltend gemachte Höhe nicht zu beanstanden ist,

ist außerdem zutreffend.

Auf Grund der Haftung der Beklagten nach § 435 HGB entfallen die Haftungsbeschränkungen des § 429 HGB, sodass die Schadenshöhe gemäß §§ 249 ff BGB zu

bestimmen ist (vgl. OLG Stuttgart, TranspR 2002, 23). Sämtliche schadensbedingten Kosten sind somit zu ersetzen. Diese hat die Klägerseite im einzelnen durch

die Kostenaufstellungen in den Anlagen K9 bis K 11 und den beigefügten Rechnungen dargelegt. Ein bloß pauschales Bestreiten der Beklagten vermag den Anspruch

der Beklagten – wie das Landgericht zu Recht ausführt – nicht zu Fall zu bringen.

5. Eine Inverzugsetzung der Beklagten durch das Schreiben der Kläger-Vertreter vom 20.08.2007 (Anlage K 13) ist lediglich im Hinblick auf eine

Anspruchshöhe von EUR 84.802,70 erfolgt. Hinsichtlich der verbleibenden Differenz von EUR 2.053,07 zur Klagsumme ist von der Klägerin keine Inverzugsetzung

vorgetragen worden. Daher ist die auf §§ 286, 288, 291 BGB beruhende Zinsentscheidung dahingehend abzuändern, dass die Beklagte Zinsen in Höhe von 5

Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus EUR 84.802,70 seit dem 26.09.2007 und aus weiteren EUR 2.053,07 ab Rechtshängigkeit, somit ab 21.01.2008, zu

bezahlen hat.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 Abs.2, 101 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe hierfür gemäß § 543 Abs.2 ZPO nicht vorliegen.

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